Darmstädter
Echo, 26. August 2011
Das
Bekannte neu erfinden - Gerd Ohlhauser und Christoph Rau setzen
ihre Edition Darmstadt fort - Designpreis für gemeinsamen
Katalog von Johannes Breckner
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DARMSTADT + Surface
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26. August 2011 | Von Johannes Breckner, Darmstädter Echo
Das Bekannte neu erfinden. Verlage: Gerd Ohlhauser und Christoph
Rau setzen ihre Edition Darmstadt fort Designpreis für
gemeinsamen Katalog
DARMSTADT
Ein
Verleger und ein Fotograf machen gemeinsame Sache für Darmstadt:
Ihre Buchedition hat bisher vier Bände hervorgebracht, viele
weitere sind geplant.
Die meisten Menschen werden zuerst einmal Rostbeulen sehen. Von
Lokomotiven und Waggons des Kranichsteiner Eisenbahnmuseums blättert
die Farbe ab, die Verwitterung entfaltet ihre Kraft. Der Eisenbahner
denkt an den Farbeimer, der Fotograf an seinen Verleger: Damit,
wusste Christoph Rau, kann ich Gerd Ohlhauser eine Freude machen.
Rau fotografierte das Eisenbahnmuseum für die Edition
Darmstadt, die dicken und trotzdem handlichen Bildbände
im Flipbook-Format, die in Ohlhausers Verlag Surface Book erscheinen.
Er wusste von der Faszination, die Oberflächen auf den Designer
und Verleger ausüben können. Ohlhauser, von Hause aus
Industriedesigner, hatte ab 1998 Aufträge für den Oberflächenhersteller
Resopal übernommen, erst als Gestalter, später auch im
Marketing. Man muss, erkannte er damals, die Oberfläche versinnlichen
in der Darstellung. Das schafften seine in Bücher gefassten
Muster auf so spektakuläre Weise, dass zum 75. Firmengeburtstag
eine Ausstellung in Frankfurt die Ästhetik der Oberfläche
feierte, nachdem Ohlhauser den Berliner Künstler Dieter Balzer
angesprochen und ermuntert hatte, zeitgemäß mit diesem
Material umzugehen.
Ohlhauser, scherzt
Rau, ist der Oberflächen-Guru. Und eigentlich steckt keine
Übertreibung in diesem Kompliment, wenn man das jüngste
Werk des Verlegers betrachtet. The International Surface Yearbook,
in dem hundert Hersteller sich präsentieren, versammelt, puristisch
in der Anlage, verschwenderisch in der Vielfalt, Oberflächen-Ansichten,
aus Stein und Holz, Raufaser und Kunststoff. Eine stammt auch aus
Darmstadt, ein reizvoll unregelmäßiges Streifendesign,
das aus geschnittenen Furnierschichtplatten entsteht und an einem
Werkstück der jungen Schreinerin Johanna Uhland vorgeführt
wird.
Die sinnliche Ausstrahlung der Oberfläche ist es auch, die
einen Katalog des Künstlers Jupp Gauchel auszeichnet. Ohlhauser
als Verleger, Rau als Fotograf und der Gestalter Frank Dinger haben
ihn anlässlich einer Ausstellung im Rastatter Schloss 2010
herausgebracht. Selten gehen das Werk und seine Präsentation
im Buch eine so selbstverständliche Verbindung ein, was auch
die Jury des Red Dot Award erkannte, die den Band gerade ausgezeichnet
hat.
Die Edition Darmstadt wartet noch auf Preise, aber sie
hat das Zeug dazu. Die Idee, Bildstrecken im Kleinformat zu komponieren,
hatte Ohlhauser zuerst mit einem Bändchen seiner Las-Vegas-Fotos
ausprobiert und dann an verschiedenen anderen Themen entwickelt.
Er verbinde, schrieb der Darmstädter Hochschulprofessor Gert
Selle damals, die Tiefenschärfe des fotografischen Augenblicks
mit der filmischen Kunst des Erzählens. In der Tat führt
die Komposition der Einzelbilder regelrecht Regie. Der Buchgestalter
wird zum Cutter einer Erzählung, er reiht nicht nur Themen
aneinander, sondern reguliert zugleich das Tempo und setzt die Stimmungen
beispielhaft ablesbar etwa am jüngsten Band der Edition
Darmstadt, der den Betrachter ins Heinerfest hineinzieht.
Es sind die starken Fotos von Christoph Rau, die erst das reiche
Material zu dieser dramaturgischen Herangehensweise liefern. Rau
konzipiert die Bände mit Ohlhauser gemeinsam, und er fotografiert
anders seit dieser Zusammenarbeit, nicht nur dadurch, dass er des
Buchformats wegen eher ans Breit- als ans Hochformat denkt. Er überlässt
Ohlhauser das Material meist unselektiert und wird nicht selten
überrascht: Aufnahmen, denen der Fotograf gar nicht viel zugetraut
hatte, können im Zusammenhang des Buches eine starke Wirkung
erzielen.
Ohlhauser hat
es dann manchmal mit ein paar tausend Fotos zu tun. Er hat sich
ein Bildprogramm im Computer so eingerichtet, dass er die Mini-Ansichten
der Bilder in wechselnden Päckchen hin- und hersortiert. Nach
einer Weile kennt er das Material und kann mit der Anordnung beginnen
am Ende sind rund 200 Fotos auf 250 Bildseiten übrig.
Sie zeigen die Stadt, wie sie vom Passanten gar nicht wahrgenommen
werden kann: Der Mensch sieht ja keine Einzelaufnahme, sondern setzt
sich eine bewegte Bildwelt zusammen. Fotos zeigen Einstellungen,
die es im Leben nicht gibt, und eröffnen damit eine neue Dimension
der Wirklichkeit, sinnieren Ohlhauser und Rau. Und tatsächlich
öffnen ihre Bücher einen Blick auf Darmstadt, den man
so nicht hatte. Ganz so, als erfänden sie das Bekannt neu.
Dass Darmstadt fotografisch noch unterbelichtet ist, merkte Ohlhauser,
als er in der Stadt einmal Jugendstil-Postkarten kaufen wollte.
Die Ausbeute war kläglich. Für das Jubiläum des Kunstarchivs
komponierte er später aus Beiträgen von Künstlern
und Fotografen einen Band, der Darmstadt als Kulturstadt präsentiert.
Bei dieser Gelegenheit lernte er Rau kennen, und gemeinsam entwickelten
sie die Idee, mit dem ersten Band eine Reihe zu eröffnen. Die
Ideen werden gemeinsam entwickelt, meist beim Gespräch im Café,
das auf halber Strecke zwischen ihren Wohnungen liegt. Es sind so
viele, dass man der Reihe eine lange, lange Zukunft wünscht:
Das Vivarium und die Grube Messel dürften die nächsten
Bände werden, der Jugendstil müsste natürlich noch
einmal aufgegriffen werden und das Thema Architektur, der Waldkunstpfad
und die Musikszene, Stadt als Darmstadt der Schriftkunst und als
Stadt der Wissenschaft.
Die Reihe macht Dinge sichtbar, bringt das vermeintlich Bekannte
auf neue Weise ins Bewusstsein. Sie zeigt, ganz nebenbei, die Stadt
als einen Ort, der Lebensqualität zu bieten hat. Und so ist
die Arbeit an der Edition Darmstadt auch ein Teil des bürgerschaftlichen
Engagements, an dem auch die Käufer des Buches Anteil haben.
Denn das Finanzierungsmodell ist ungewöhnlich. Wer die Reihe
abonniert, zahlt vierzig Euro für vier Bände und spart
damit pro Ausgabe 2,80 Euro gegenüber dem Buchhandelspreis.
Zugleich
wird der Abonnent ins Verzeichnis der Mitherausgeber aufgenommen.
Ohlhausers Rechenexempel, das nach den aktuellen Zahlen noch recht
optimistisch klingt: Wenn jeder neue Band hundert zusätzliche
Abonnenten brächte, wären die Grundkosten für eine
Auflage von 2000 Exemplaren erst einmal gedeckt. Freilich ist dann
noch kein Cent verdient, und irgendwann, hoffen Rau und Ohlhauser,
könnte ja auch mal etwas hängenbleiben.
Bücher
und Ausstellung
Die Bände der Edition Darmstadt kosten im Buchhandel je 12,80
Euro, im Abonnement zehn Euro. Internet: www.edition-darmstadt.de.
Die Oberflächen des von Gerd Ohlhauser herausgegebenen International
Surface Yearbook 2011 sind Gegenstand einer Ausstellung, die
am 1. September (Donnerstag) um 19.30 Uhr in der Farbraum Art Gallery
in Darmstadt (Bessungen, Sandbergstraße 8) eröffnet wird
und bis 29. September dauert.
Darmstädter
Echo, 26. August 2011
Oberflächen-Papst
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