Darmstädter
Echo, 25. März 2015
"Ich hatte Albträume" - Konzert und Buch erinnern
an die Befreiung vor 70 Jahren
Autor: Thomas Wolff,
Foto: Stadtarchiv Darmstadt
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der Text noch einmal für Google:
KULTURSZENE: Konzertchor erinnert an Darmstadts Befreiung, Vorschau
Mit Fotos, Texten und Brahms Deutschem Requiem
erinnert der Konzertchor an die Befreiung vor 70 Jahren
Am Nullpunkt: Zwei US-Soldaten unterwegs zwischen den Trümmerbergen
der bombardierten Darmstädter Innenstadt. Solche historische
Fotos aus dem Stadtarchiv werden auch beim Gedenkkonzert am Karfreitag
im Darmstadtium zur Live-Musik zu sehen sein. Foto: Stadtarchiv
Wie nach der Zerstörung Darmstadts vor 70 Jahren wieder Hoffnung
keimte: Das sollen Bilder, Texte und Musik beim Karfreitagskonzert
des Konzertchors den Besuchern vor Augen und Ohren führen.
Parallel zu den bewegenden Gesängen des Brahms-Requiems werden
historische Fotografien gezeigt.
DARMSTADT. Das
war ein Schock für den Sechsjährigen. Gerd Ohlhauser,
Jahrgang 48, aufgewachsen in Heppenheim, erinnert sich heute
noch mit Schaudern an seinen ersten Familienausflug nach Darmstadt.
Das war schon ein paar Jahre nach Kriegsende, und doch: Die
leeren Fassaden an der Rheinstraße zu sehen... ich hatte
Albträume hinterher, erzählt der Verleger. Wahnsinn,
das reine Chaos, sagt sein Kompagnon, der Fotograf Christoph
Rau, Jahrgang 57. Der hatte freilich erst jetzt die Chance,
die Verwüstung zu besichtigen auf Bildern aus dem
Stadtarchiv. Die haben beide Wahl-Darmstädter unlängst
gesichtet, für ein gemeinsames Buchprojekt. Rare Ansichten,
die auch die Öffentlichkeit nun zu sehen bekommt in
einem außergewöhnlichen Rahmen: Die Fotos der Trümmer
und des Wiederaufbaus sollen das Karfreitagskonzert des Konzertchors
Darmstadt am 3. April umrahmen.
Vor allem Hoffnung soll vermittelt werden
An die Befreiung Darmstadts durch die US-Army im März
vor 70 Jahren soll das Multimedia-Konzert im Darmstadtium erinnern.
Brahms Deutsches Requiem und Teile einer Friedensmesse
des US-Komponisten Karl Jenkins stehen auf dem Programm. Wie passt
das zusammen? Nun, bei Brahms berühmtem Werk regiert
ja das Prinzip Hoffnung, erklärt Stefanie Weidmann, Pressesprecherin
des Konzertchors. So soll aus der romantischen Musik und den historischen
Bildern eine hoffnungsvolle Geschichte werden. Nicht
die Zerstörung solle im Fokus stehen; die Besucher sollen
vor allem die Chance haben, zu sehen, wie weit man inzwischen
gekommen ist. Tatsächlich wirken viele der Bilder aus
der zeitlichen Distanz schon fast unwirklich. Ohlhauser und Rau
zeigen bei einem Besuch in ihrem kleinen Bessunger Verlagsbüro
eine Auswahl: ein überladener Karren mit befreiten Zwangsarbeitern
schiebt sich über den von Trümmern gesäumten Marktplatz;
behelmte GIs stapfen im grellen Sonnenlicht durch eine ansonsten
menschenleere Innenstadt, halten den Horror mit der Kamera fest;
vor dem Bismarck-Denkmal hebt eine Gruppe US-Soldaten spöttisch
die Arme zum Hitler-Gruß vielleicht wussten
die nicht so genau, wer das ist, vermutet Ohlhauser amüsiert.
Für ihr Buch American Darmstadt, das am 14. April
offiziell im Literaturhaus vorgestellt wird, haben er und Rau
monatelang recherchiert und mehrere Quellen aufgetan. Fotos des
US-Truppen-Magazins Stars and Stripes zeigen die amerikanische
Sicht der Dinge. Christoph Rau hat dazu in aktuellen Reportagefotos
festgehalten, wie sich die ehemaligen Kasernen mit ihren riesigen
Grundstücken gewandelt haben teils zerfallen, teils
überwuchert, aber immer noch geprägt vom Geist der Nachkriegszeit.
Die Trümmer-Bilder aus dem Stadtarchiv kommen als dritte
Quelle dazu. Eine Auswahl dieser Fotos zur anrührenden Brahms-Musik
zu zeigen, auf Bildschirmen neben dem Chor, das sei für alle
ein Experiment, sagen sie. Fotograf Rau hofft, dass Bilder und
Musik eine Rückbesinnung ermöglichen auf das,
was damals passiert ist gerade, wenn man dabei
im modernen Darmstadtium sitzt. Ohlhauser pflichtet ihm
bei. Die Besucher sollen spüren, dass es da mal einen
absoluten Nullpunkt gab und wie alles wieder neu begann.
Er hofft, dass die Konzertbesucher einen meditativen Moment
des Nachdenkens erleben können. Auch durch die ruhig
dahinfließenden Bilder, die man nicht jeden Tag zu
sehen bekommt.