Glosse
in PHOTOGRAPHIE 4/97
Aufhören,
Sofort aufhören! Über die Ruhe in der Fotografie Mir
geht alles viel zu schnell, und mich nerven all die schlechten
Bilder. Jeder glaubt etwas über Fotografie sagen zu können,
und jeder will seine Bilder ausstellen. Eine lange Liste mit Ausstellungen,
getrennt nach Einzel- und Gruppenausstellungen, scheint wichtig
für die Biographie zu sein, und jede Ausstellung wird aufgezählt,
egal wo sie stattfand. Ich habe viele Ausstellungen und viele
Bücher über Fotografie gesehen und habe mir damit den
Blick geschult und die Lust am Bild. Wenn die Fotografen intelligent
sind, haben sie oft auch interessante Texte geschrieben, die spannender
sein können als die Begründung, warum man es für
bedeutsam hält, die Iris, Hände und Gesichter kreativer
Menschen fotografisch zu sammeln. Ein befreiendes Zustimmen überkam
mich, als ich las, was der große alte Stefan Moses vor einigen
Jahren in einem Interview auf die Frage antwortete, welchen Rat
er jungen Fotografen heute geben würde: "Aufhören,
sofort aufhören mit dem Fotografieren! Es sind schon zu viele
Bilder gemacht. Also aufhören - oder wenigstens lange Pausen
machen." Ich schlage vor dass man sich in den in den langen
Pausen Zeit nimmt, um die Bücher und Ausstellungen großer
Meister der Fotografie anzuschauen. Beispielsweise Robert Doisneau
im Düsseldorfer Kunstverein. Doisneau war ein Meister der
Geduld und Beobachtung, beides Eigenschaften, die auch der Ruhe
kommen. Er beschreibt folgende Situation, die er beim Fotografieren
erlebte: "Still zu stehen, mitten unter Menschen, die nach
allen Seiten laufen, ist ein verdächtiges Verhalten. Eines
Tages, als ich so stand, habe ich das begriffen. Ein Unbekannter
flüsterte mir ins Ohr: "Du willst wohl ein Ding drehen?
Ich bin auch aus dem Knast!"" Denkpausen in der Politik
oder bei einer Diskussion gelten als Eingeständnis von Schwäche.
Ein "Verein zur Verzögerung der Zeit" wurde deshalb
tatsächlich schon vor einigen Jahren in Österreich gegründet.
Wenn man heute etwas mit Bedacht tut, halten einen andere schnell
für alt, behindert oder sonstwie beschränkt. Mich hat
es immer genervt, wenn jemand wissen wollte, welche Kamera und
Blende ich denn bei welcher Belichtungszeit nehme. Ob jemand gute
Bilder macht, das ist keine Frage der Technik. Dass man eine lange
Belichtungszeit wählt, um Schnelligkeit und Eile im Foto
auszudrücken, ist eigentlich ein Paradox. Die Puritaner der
Technik, ob sie nun aufs Digitale, oder auf die kleine oder mittelgroße
legendäre Kamera oder auf die Großbildkamera abfahren,
haben von der wahren Fotografie nichts begriffen. Da ist mir der
Knipser lieber, der einfach nur abdrückt und seinen Film
in den Fotoladen bringt. Der Profi, der sein Geld mit der Fotografie
verdient, sei hier auch verschont. All denen, die auf Geschwindigkeit
in der Fotografie stehen, empfehle ich eine Mitgliedschaft in
der Lomographischen Gesellschaft, das ist so etwas wie ein ADAC
für Knipser, mit umfassender Philosophie und für die
Macher aüßerst lukrativ. Die stellen übrigens
jedes Foto aus. Im Wilhelm Fink Verlag ist ein Katalog erschienen
mit dem interessanten Titel: "Das große stille Bild".
So wie der Ängstliche im dunklen Wald pfeift, so wird hier
in einer durch zu viel Fernsehen geschulten stakkatoartigen Sprache
über die Angst des klassischen Kaninchens vor der digitalen
Schlange geredet, und das wird illustriert mit vielen hektischen,
kleinen Bildern und grauen Flächen. Aber Horst Wackerbarth
schreibt in seinem Beitrag, das der "hochwertige Abzug von
Hand, archivfest aus Silbergelatine oder in Platin-Palladium,
eine zeitgemäßere magische Aura entfaltet als Öl
auf Leinwand." Genau das habe ich bei der Doisneau-Ausstellung
gespürt, und das gefällt mir. Ich habe keine Angst vor
neuen Kameras, und die letzte photokina hat mir Spaß gemacht.
Das schönste Foto der Welt hängt sowieso über meinem
Schreibtisch und zeigt eine Rückansicht unseres ungeborenen
Kindes in Form eines digitalen Ausdrucks auf Thermopapier. Wie
lange die alten Techniken von der Industrie noch bedient werden,
ist mir egal, solange meine Kameras funktionieren und ich das
Prinzip der camera obscura nicht vergesse. Ich kenne einen, der
würde sich auch die Emulsionen selber herstellen und auf
Träger gießen, wenn es keine SW-Filme oder Barytpapiere
mehr gäbe. Die meisten wissen, daß ein Bild, das nicht
ausfixiert ist, schneller verblaßt. Genauso verblaßt
die Beobachtungsgabe und Neugierde bei denen, die nicht die Zeit
nehmen, in Ruhe hinzuschauen. Also fotografieren Sie, womit sie
wollen, aber lassen Sie sich Zeit und machen Sie bloß nicht
gleich eine Ausstellung mit Ihren Bildern.
Autor: Christoph Rau
Christoph Rau hat das Fotografieren von seinem Vater Hans Jürgen
Rau gelernt, ist seit 1984 Mitglied im Deutschen Journalistenverband
und seit 1987 in der Deutschen Gesellschaft für Photographie
(DGPh). Daneben verfasst Rau auch Beiträge für die PHOTOGRAPHIE.
Erschienen in PHOTOGRAPHIE 4/97
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